Lukas Wieser aus Walenstadt gehört zu den besten Kennern des Mammutbaumes
in der Schweiz. Er vermisst alle zwei Jahre die 200 grössten Bäume im
Lande. Die ältesten stehen in Rheineck.
Er interessiert sich seit seiner Kindheit für die grössten Bäume. Besonders
angetan hatte es Lukas Wieser der Mammutbaum neben der Weberei in Walenstadt.
Diesen besuchte er immer wieder. Am 16. November 1997 war er erneut dort
und wollte auf dem Sekretariat der Weberei, der Besitzerin des Baumes,
noch einige Auskünfte einholen. Das sei gar nicht mehr so wichtig, der
Baum werde ohnehin gefällt, bekam er zur Antwort. Der Websaal 1 sollte
in Lofts verwandelt werden, für die Nummer 1 hatte man bereits einen Käufer
gefunden. Aber dieser nehme die Wohnung nur, wenn der Mammutbaum gefällt
werde, hiess es. Beiläufig sagte der Verwalter zu ihm: «Kaufen Sie doch
die Wohnung samt Garten, dann sind Sie auch Besitzer des Mammutbaumes.»
Ein Baum als Umzugsgrund
Lukas Wieser überlegte sich das Angebot, fand Unterstützung bei seinem
Vater. Mit seinem Pensionskassengeld, das er eben erhalten hatte, und
eigenem Ersparten, kaufte die Familie das Loft Nummer 1 samt Mammutbaum
- und zügelte wegen dieses Baumes von Oberwil ZG nach Walenstadt. Vertraglich
wurde auch festgehalten, dass mit dem Kauf nicht nur der Baum, sondern
auch das ganze Wurzelwerk erworben wird. Andererseits verpflichtete sich
der neue Besitzer, die Baumpflege und den Unterhalt allein zu übernehmen
und zu berappen.
Besonders stolz ist er, dass er mit seinem Koloss den massivsten Baum
der Schweiz besitzt. «Mein Baum würde auch in Kalifornien, dem Ursprungsland
der Mammutbäume, bereits zu den fünf Prozent der Grossen gehören», sagt
er erfreut. Mit einem Umfang von 11,53 Metern einen Meter über Boden zählt
der Gigant auch zu den dicksten Bäumen der Schweiz. Selbst in einer Höhe
von 30 Metern beträgt der Durchmesser noch einen Meter. Deshalb kommt
der Baumstamm auf sagenhafte 97 Kubikmeter Holz - eine Schätzung inklusive
Rinde. Werden die massiven Äste auch noch dazugezählt, so sind es gar
über 100 Kubikmeter Holz. Damit dürfte er nicht nur der voluminöseste
Baum der Schweiz sein, sondern mit dem geschätzten Gesamtgewicht von 120
bis 140 Tonnen auch das schwerste Lebewesen.
Auf den Spuren der Samen
Lukas Wieser hat auch nachgeforscht, woher der Samen oder die Jungpflanze
für seinen Mammutbaum stammen könnte. Eine gesicherte Spur führt zum ersten
eidgenössischen Oberforstinspektor Johann Coaz, der von 1822 bis 1918
lebte und kurze Zeit auch Sekretär von General Dufour war. Er machte im
Gebiet von Schloss Marschlins GR, wo exakte klimatische Daten vorhanden
waren, Versuche mit verschiedenen schnellwachsenden Baumarten. Doch das
Holz war für die Forstwirtschaft ungeeignet, obschon dieser Exot pro Jahr
ein bis zwei Kubikmeter Holz zulegt. Umso mehr interessierten sich aber
die Pflanzensammler und Baumliebhaber für diesen Giganten. Ende des 19.
Jahrhunderts wurde der Mammutbaum zu einem Statussymbol für Wohlstand
und Reichtum. Deshalb findet man viele Sequoias neben alten Fabrikantenvillen,
aber auch in Parkanlagen oder in der Nähe von Spitälern. Mit dem Gattungsnamen
Sequoia wurde übrigens der Indianer Se-Quo-Yah geehrt, der ein indianisches
Alphabet erfand.
Ein Geschenk der Königin
Die ältesten Mammutbäume in der Schweiz stehen in Rheineck. Die beiden
Prachtexemplare vor dem Gymnasium Marienburg wurden 1858 gepflanzt. Sie
sind ein Geschenk der Königin Victoria von England, die damit die Fürsten
Hohenzollern ehrte, die hier wohnten. Ein Beispiel, das zeigt, wie verschieden
Mammutbäume aussehen können, ist der Mammutbaum beim Schloss Mörschwil.
Seinen bedingterweise niederen Hauptstamm sieht man nur aus nächster Nähe.
Auf einer Höhe von etwa einem Meter verlässt ein baumdicker Ast waagrecht
den Stamm und strebt nach einigen Metern wieder nach oben. Vermutlich
hat der Baum nach einem Blitzschlag seine ganze Energie in diesen Ast
- der Dickste der Deutschschweiz - gesteckt. Ganz in der Nähe traf ich
den Sanktgaller Dichter Rutan (Jack Knill), der über diesen Baum und die
Natur ganz allgemein tiefgründige Gedichte schreibt. Er erzählte mir,
dieser Mammutbaum sei sein Kraftort. Hier tanke er immer wieder Energie
auf.
Besondere Stimmung
Vor dem Friedhof in Trogen steht die schönste Mammutbaumgruppe: fünf Grossgewachsene
und ein jüngerer Baum. In diesem kleinen Wäldchen fühlt man sich geborgen.
Diese aussergewöhnliche Stimmung nehmen auch viele Friedhofsbesucher wahr.
Über vierzig Meter hoch
Wer mit offenen Augen herumreist, entdeckt überall noch Mammutbäume. Meist
überragen diese sogar Kirchtürme. Die höchsten Bäume in der Schweiz sind
über vierzig Meter hoch. Leider wird das vielen zum Verhängnis, denn sie
sind eine Zielscheibe für Blitzeinschläge. Da kann es vorkommen, dass
explosionsartig tonnenweise Holz herum geschleudert wird. Deshalb sollten
Bäume ab 25 Meter mit einem Blitzschutz versehen sein. Ausserordentlich
ist: Die kraftvollen Bäume erholen sich immer wieder, bilden einen neuen
Wipfel oder lenken ihre Energie in die Äste - und wachsen weiter. Deshalb
ist der Mammutbaum nicht nur ein Symbol für Wohlstand, sondern ebenso
eines für das Leben.
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