Wenn Hans Frutiger auf dem Balkon seines prächtigen Simmentaler Chalets
steht, fällt sein Blick nicht nur auf den Thunersee und die Berner Alpen,
sondern ebenso auf einige Mammutbäume. Er kennt alle und besucht sie immer
wieder, denn er weiss, viele sind gefährdet. 1962 gab es im Amt Thun noch
92 Exemplare, 1998 waren es nur noch 63. Die «Wellingtonia» oder «Kalifornische
Riesenfichte», wie der Mammutbaum auch genannt wurde, geht nicht altersbedingt
ein. «Weitaus die meisten Bäume mussten direkt oder indirekt der zunehmenden
Überbauung der Umgebung um die Stadt Thun weichen», stellt Hans Frutiger
fest.
Buchhändler und Ingenieur
Die Liebe zu den Mammutbäumen ist noch nicht so alt; der Forstingenieur
kam erst spät auf diese Riesen. Das hängt zum Teil mit seinem beruflichen
Werdegang zusammen. Aufgewachsen ist Frutiger als Sohn eines Hoteliers
in Meiringen. Nach der Schule absolvierte er in Bern eine Lehre als Buchhändler.
Dort kam er mit vielen wissenschaftlich interessanten Leuten zusammen.
«Die interessierten mich, denn schon während der Schulzeit grübelte ich
allem nach», sagt der Oberländer. Forstingenieur wurde er letzlich, weil
ein Oberförster in der Nähe seiner Familie wohnte und ihm dieser Beruf
imponierte.
Der Buchhändler holte die Matura nach und studierte an der ETH in Zürich
Forstingenieur. Seine erste Stelle führte ihn nach Amden, wo er mit der
Planung von Lawinenverbauungen beschäftigt war. Das war eine Tätigkeit,
die ihn schon während des Studiums interessiert hatte.
Im eigentlichen Forstdienst war Frutiger nur zwei Jahre tätig, und zwar
in Zweisimmen. Als das Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung
auf dem Weissfluhjoch in Davos eine Stelle neu zu besetzen hatte, meldete
er sich und wurde angestellt. Dort fand Hans Frutiger eine befriedigende
Arbeit, die er während 30 Jahren ausübte. Als er 1989 pensioniert wurde,
nahm er in Oberhofen seinen Wohnsitz. Hier besass er in attraktiver Lage
ein Haus und ist zudem Burger der Gemeinde.
Begegnung in der Sierra Die Mammutbäume lernte Frutiger auf einer Reise
durch den Westen der USA kennen. Von 1961 bis 1962 arbeitete Frutiger
ein Jahr in Nordamerika, denn dort wollte man neue Skigebiete erschliessen
und benötigte einen Fachmann für Schnee und Lawinen.
Zum Abschluss dieses Aufenthaltes unternahm er mit seiner Frau eine Reise
durch die Sierra Nevada und lernte die Mammutbäume in ihrer ursprünglichen
Heimat kennen. Diese befinden sich auf einer Höhenlage von ungefähr 1500
bis 2300 Meter in einem rund 420 Meter langen und 25 Kilometer breiten
Streifen. «Doch diese Bäume interessierten mich nicht besonders, ich beschäftigte
mich nicht mehr mit ihnen», berichtet Hans Frutiger.
Inventar miterstellen
Erst viel später, als die Schweizerische Dendrologische Gesellschaft mit
der Inventarisierung der Mammutbäume in der Schweiz begonnen hatte, und
er angefragt wurde, ob er das Inventar für den Kanton Bern weiter führen
möchte, packte es ihn. Frutiger zählte nicht nur die Bäume, sondern studierte
auch deren Biologie. In verschiedenen Fachzeitschriften veröffentlichte
er Beiträge, die grosse Beachtung fanden. So schrieb er im Heft 13 der
«Mitteilungen der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft Thun» einen Beitrag
über den Mammutbaum im Amtsbezirk Thun (vergriffen).
Genaue Vermessung
Die Inventarisierung der Bäume führt Frutiger nach einem eigenen System
durch. Weil Parzellen und Besitzer oft wechseln, vermerkt er nicht mehr
den Ort des Baumes, sondern die genauen Landeskoordinaten - und zwar auf
den Dezimeter genau. Jeder Baum erhält eine Nummer und wird vermessen:
Der Stammumfang 1,5 Meter über Boden und die Höhe des Baumes. Nicht der
höchste Baum ist der «Grösste», sondern der Voluminöseste, der am meisten
Stammholz hat. Hans Frutiger kennt inzwischen bereits die Masse von 350
Mammutbäumen im Kanton Bern.
«Exotenfrage»
Der Oberländer Forstingenieur fragt sich immer wieder: «Woher kommen diese
Mammutbäume im Kanton Bern?» Er kann die Frage aber auch heute noch nicht
genau beantworten. «Ich wurde immer wieder enttäuscht, weil ich nie exakte
Angaben erhielt», bedauert er. Bekannt ist: In den 60er Jahren des 18.
Jahrhunderts, bald nach der Entdeckung des Mammutbaumes, wurde in den
schweizerischen Forstkreisen eine jahrzehntelange Diskussion darüber geführt,
ob im Schweizer Wald auch Exoten angepflanzt werden sollten. Adolf von
Greyerz stellte 1862 den Antrag, eine Kommission zu bilden, welche sich
mit «Versuchen zur Akklimatisierung fremder Holzarten» in unsern Wäldern
beschäftigen solle. Dieser Antrag wurde gutgeheissen. Wenige Jahre später
kamen grosse Mengen an Samen in die Schweiz. Setzlinge aus in- und ausländischen
Beständen wurden hauptsächlich zwischen 1870 und 1900 nachgezogen. Von
diesem und wohl auch von andern Importen stammen die meisten Mammutbäume
in der Schweiz, die 100 bis 130 Jahre alt sind.
Vom Wald in den Park
Im Unterschied zur Douglasie konnte kann das Holz des Mammutbaumes nicht
industriell genutzt werden. Es ist zu weich und eignete sich nicht für
tragende Konstruktionen. Statt im Wald wurden die Exoten deshalb in Parkanlagen
und Gärten Gutbetuchter gesetzt. Ende des vorletzten Jahrhunderts wurde
der Mammutbaum zum Symbol für Wohlstand und Reichtum.
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