Wer einen Baum pflanzen oder fällen will, muss sich durch einen Urwald
von Vorschriften kämpfen. Ein exemplarischer Fall und wie man den Weg
durchs Dickicht bewältigt.
Seeblick», so heisst ein kleines Chalet am idyllischen Sonnenhang oberhalb
des Zürichsees. Nennen wir den fiktiven Besitzer des ebenso erfundenen
Hauses Robert Hauser. Noch vor nicht allzu langer Zeit war der Name seines
Chalets auch Programm. Bis er vor acht Jahren auf dem Grundstück vor seiner
Liegenschaft einen neuen Nachbarn erhielt; nennen wir diesen Stefan Baumeler.
Der pflanzte vier Birken in seinem Garten nur fünf Meter von der gemeinsamen
Grenze entfernt. Anfangs empfand Robert Hauser das Grün als Bereicherung.
Doch dann wuchsen die Bäume über die Höhe seines Gartensitzplatzes hinaus.
Die Seesicht kann Hauser seither nur noch erahnen. Er will, dass Baumeler
die vier Bäume fällt.
Den Nachbarn jedoch kümmerts wenig, denn seine Aussicht wird nicht behindert.
Der Bitte von Hauser kommt er nicht nach: Die Birken stünden jetzt schon
acht Jahre lang in seinem Garten. Zu Hausers Leidwesen ist Baumeler im
Recht: Im Kanton Zürich verjährt der Anspruch auf Beseitigung von Bäumen,
die zu nahe an der Grenze stehen, fünf Jahre nach deren Pflanzung. Obwohl
die Birken den kantonal vorgeschriebenen Mindestgrenzabstand von acht
Metern unterschreiten, ist Hauser heute also machtlos.
Anders sähe es aus, wenn er im Nachbarkanton Aargau wohnen würde: Sechs
Meter beträgt dort der Mindestgrenzabstand für Bäume. Eine Verjährungsfrist
kennt das Aargauer Gesetz nicht, ebenso wenig Appenzell Innerrhoden. Trotzdem
erginge es Robert Hauser dort nicht besser mit seinem Nachbarschaftsstreit:
In Innerrhoden ist der Mindestgrenzabstand, selbst für hochstämmige Bäume,
auf nur vier Meter festgelegt (siehe «Der Kantönligeist im Detail»).
Die abgeschnittenen Äste als Lohn
Im Dickicht des Kantönligeists lassen sich aber auch einige gesamtschweizerische
Gesetzesäste eruieren. Das Kapp- und das Anriesrecht beispielsweise sind
national geregelt: Sie schreiben vor, wie man mit Wurzeln und Ästen, die
aus Nachbars Garten auf den eigenen Grund und Boden wuchern, umzugehen
hat. Würde Robert Hauser beispielsweise durch Baumelers Pflanzen bei der
Durchfahrt auf dem eigenen Grundstück behindert, so könnte er vom Nachbarn
verlangen, dass er das Grün an der Grenze kappt. Dabei ist eine Frist
anzusetzen, die gemäss Gesetz angemessen sein muss. Bliebe Baumeler untätig,
so dürfte Hauser nach Ablauf der Frist selber zur Schere greifen. Als
«Lohn» für die Arbeit könnte er, so besagt es das Kapprecht, lediglich
die abgehackten Äste behalten. Kommt dazu, dass die Bäume die Seesicht
auch nach dem Kappen immer noch verdecken würden. Trost kann Hauser auch
das sogenannte Anriesrecht nicht wirklich bieten: Es erlaubt, dass ein
Grundstücksbesitzer Früchte von den Ästen, die über seinem Boden wachsen,
ernten darf. Bei einer Birke erübrigt sich das.
Selbst wenn das Kapp- und das Anriesrecht gesamtschweizerisch gelten,
so haben sich auch da Kantönliverästelungen gebildet: Das Zivilgesetzbuch
(ZGB) erlaubt den Kantonen, ergänzende oder abweichende Bestimmungen zu
erlassen. In Obwalden dürfen daher beispielsweise Obstbäume überhaupt
nicht gekappt werden. Geradezu einem Urwald von Vorschriften begegnet,
wer ergänzend zum ZGB das öffentliche Recht von Kantonen und Gemeinden
betrachtet und das ist im Einzelfall empfehlenswert. Im Kanton Basel-Stadt
etwa können Bäume geschützt werden. Für das Fällen solcher Exemplare
aber auch für das Kappen, das die Lebensfähigkeit des Baumes gefährdet
muss eine Bewilligung eingeholt werden. Thomas Oberle, Jurist beim Hauseigen-tümerverband
Schweiz, rät: «Am besten wendet man sich an die Gemeindeverwaltung. Die
weiss, ob überhaupt Bestimmungen zum Schutz von Bäumen bestehen und ob
die fraglichen Bäume unter Schutz gestellt wurden. Das sollte immer abgeklärt
werden, selbst wenn es nur um eine Kappung geht, denn bei Zuwiderhandlung
kann es eine Busse absetzen.»
Bäume und deren Besitzer, so macht es den Eindruck, haben das Gesetz
auf ihrer Seite. Heisst das für Robert Hauser aus unserem Beispiel, dass
er die Birken klaglos hinnehmen muss? Ja und nein. Auf Bundesebene existiert
eine nachbarrechtliche Bestimmung, die für alle Kantone gleichermassen
gilt: Gemäss Artikel 684 ZGB ist jeder Eigentümer verpflichtet, sich aller
übermässiger Einwirkungen auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten
auch Aussichtsentzug kann eine übermässige Einwirkung darstellen. Aber
die Gerichte urteilen erfahrungsgemäss nur zugunsten des Klägers, wenn
eine Störung massiv ist.
Hauser hätte darum geringe Erfolgsaussichten mit einer Klage, die sich
auf das Zivilgesetzbuch stützt. So bleibt ihm nur die Hoffnung auf den
Herbst, wenn die Birkenblätter fallen und die Seesicht wieder frei wird.
Der Kantönligeist im Detail
Verjährungsfrist
Die meisten Kantone haben die nachbarlichen Grenzabstandsvorschriften
in ihren Einführungsgesetzen zum Zivilgesetzbuch geregelt (Ausnahme Kanton
Thurgau: Dort gilt das Gesetz über Flur und Garten). Darin sind oft auch
Verjährungsfristen für entsprechende Klagen bestimmt. Viele Kantone haben
diese auf fünf Jahre ab Pflanzung festgelegt. Im gesetzlichen Wildwuchs
sind aber die unterschiedlichsten Fristen anzutreffen: von zwei (Obwalden)
bis hin zu 30 Jahren (Genf). In diversen Kantonen kennt man gar keine
Verjährung. Aufgepasst: Die Verjährungsfrist wird erst durch Klageeinleitung
in der Regel beim Friedensrichter gewahrt. Den Nachbarn bloss schriftlich
aufzufordern, zu nahe stehende Bäume zu beseitigen, reicht deshalb nicht!
Grenzabstand
In vielen Kantonen liegt der minimale Grenzabstand für hochstämmige Bäume
bei sechs Metern. Aber auch hier kommt alles vor: von (theoretischen)
null Metern (Thurgau; wobei die Pflanze bis zu einem Abstand von zehn
Metern höchstens doppelt so hoch wie entfernt sein darf) über exakte 4,2
Meter (Glarus) bis hin zu acht Metern (Zug und Zürich). Bei besonderer
Bewirtschaftung (zum Beispiel Rebland oder Wald) kommen vielerorts spezielle
Grenzabstände zur Anwendung. Ebenso entscheidend ist die Art der Bepflanzung:
Obstbäume etwa dürfen meist etwas näher an die Grenze als andere hochstämmige
Bäume. Kleinere Bäume und Sträucher können in vielen Kantonen bis auf
einen halben Meter an die Grenze herangesetzt werden, wobei sie dann meist
regelmässig zu stutzen sind. Eine umfassende Übersicht ist angesichts
der 26 unterschiedlichen kantonalen Regelungen unmöglich. Auf www.beobachter.ch/info
finden Sie die Links zu sämtlichen Einführungsgesetzen.
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